Prevention Summit 2021: Kardiovaskuläre Prävention in der Praxis (Frankfurt 18.–19. Juni 2021)

Varia
Issue
2021/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/cvm.2021.02248
Cardiovasc Med. 2021;24:w02248

Published on 01.11.2021

Fortbildungen zur Prävention sind von grösster gesundheitspolitischer Bedeutung.

Prävention ist unbestritten die beste Medizin. In der Tat ist es viel einfacher Veränderungen der Organsysteme zu verhindern, als sie rückgängig zu machen. Entsprechend sind Fortbildungen zur Prävention, vor allem wenn sie sich auch an Allgemeinmediziner richten, von grösster gesundheitspolitischer Bedeutung. Insofern deckte der Prevention Summit 2021 zum dritten Mal die wohl wichtigsten Themen der kardiovaskulären Medizin ab (Abb. 1).
Abbildung 1:
Vorsitzende des Prevention Summit 2021 in Frankfurt: Thomas F. Lüscher, London, Ulf Landmesser, Berlin und Ulrich Laufs, Leipzig.

Was ist Prävention?

Konzipiert als Hybridveranstaltung umfasste das Programm drei Sessionen zu unterschiedlichen Themen. Die Eröffnungssession zum Thema «Prävention heute und morgen» versuchte zunächst einmal festzustellen, was eigentlich Prävention ist. Traditionellerweise wird die primäre und sekundäre Prävention unterschieden, obgleich wir heute, dank bildgebender Untersuchungen wissen, dass der Übergang fliessend ist und dass eigentlich Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren in den allermeisten Fällen bereits Veränderungen der Blutgefässe oder sogar der Organe selbst aufweisen (sogenannter «Target Organ Damage»). Noch viel wichtiger wäre es, überhaupt die Entwicklung von kardiovaskulären Risikofaktoren zu verhindern, d.h. primordiale Prävention zu betreiben. Dabei wäre es das Ziel, wie Ulrich Laufs aus Leipzig festhielt, Übergewicht, Blutdruckanstieg, Lipidstörungen und dem Diabetes durch einen optimalen Lebensstil von Beginn weg entgegenzuwirken.

Zunächst Lebensstil

Einige wichtige Lebensstilmassnahmen sind Ernährung und Sport, wie dies Martin Halle aus München und Stefan Lorkowski aus Jena darlegten. Dabei betonten sie die Wichtigkeit einer gezielten und praxisrelevanten Beratung, die konkrete Massnahmen aufzeigt und in engmaschiger Betreuung aufrechterhalten wird.
Thomas F. Lüscher aus London und Zürich wies dann darauf hin, dass die Ernährung nicht nur direkte Wirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem ausübt, sondern auch auf das Mikrobiom, insbesondere das intestinale Mikrobiom, das Milliarden von Bakterien enthält. Diese Bakterien nehmen viele Nahrungsstoffe, die wir uns zuführen, auf und metabolisieren diese zu Molekülen, welche günstige, aber auch schädigende Wirkungen im Herz-Kreislauf-System ausüben. So hemmt beispielsweise die Ellagsäure, die durch Bakterien in Urolithin A umgewandelt wird, Enzymsysteme, die im Körper oxidativen Stress auslösen, während Komponenten von rotem Fleisch wie Carnitin, Phosphatidyllysin und andere mehr zur Bildung von Trimethylamin (TMA) führen, das dann in der Leber durch Oxidasen in Trimethylaminoxyd (TMAO) metabolisiert wird. Der TMAO-Spiegel ist mit dem Ausmass einer koronaren Herzkrankheit, wie auch im Überleben nach Herzinfarkt eng verbunden und gehört zu den wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren, die bisher kaum Beachtung fanden. Wie dieser neue Risikofaktor zu behandeln wäre, steht zur Zeit im Zentrum des Forschungsinteresses.
Abbildung 2:
Wirkung von Carnitin aus tierischem Fleisch auf das Microbiom und die Bildung von TMAO (aus A. Davies and T.F. Lüscher: The red and the white and the difference it makes. Eur Heart J. 2019;40:595–597).

Die Umwelt – der vernachlässigte Risikofaktor

Thomas Münzel aus Mainz wies dann darauf hin, dass wir als Kardiologen Faktoren, die uns täglich umgeben, wie Luftverschmutzung, Lärm und Licht, bisher kaum in der Prävention beachtet haben. Die Untersuchungen seiner Arbeitsgruppe haben eindrücklich gezeigt, dass Lärm, vor allem nächtlicher Lärm durch Flugzeuge, aber auch durch Fahrzeuge des Strassenverkehrs und die Eisenbahn, nicht nur zu Schlafstörungen, sondern auch zu hohem Blutdruck und langfristig zu kardiovaskulären Erkrankungen führen. Ähnliches gilt für Licht, das in der Moderne omnipräsent ist, und Ruhe und Schlaf stören und den natürlichen Tagesrhythmus durcheinanderbringen kann. In besonderem Mass ist die Luftverschmutzung gesundheitsschädlich, vor allem durch Feinstaub, dessen Partikel in unsere Lungen und danach auch in Blutgefässe und die Organe gelangen und stark mit Herz- und Kreislauferkrankungen assoziiert sind.
Abbildung 3:
Wirkung von Lärm auf das kardiovaskuläre System (aus: Thomas Münzel: Eur Heart J. 2020;41:3989–2997).

Artificial Intelligence – the doctors little helper

Dass bei all diesen Risikofaktoren die Integration zu einem Gesamtbild bei einem Patienten nur unter Schwierigkeiten gelingt, daran erinnerte Benjamin Meder aus Heidelberg die Teilnehmer. Er wies darauf hin, dass die künstliche Intelligenz heute Möglichkeiten bietet, eine Unzahl von Parametern bei Patienten zusammenzuführen, um zu einem Gesamtbild des individuellen Risikos für Herz- und Kreislauferkrankungen zu gelangen.
Die künstliche Intelligenz oder Artificial Intelligence wird heute zunehmend auch bei der Bearbeitung bildgebender Verfahren eingesetzt. Dabei konnte bereits die Beurteilung von computertomographischen Bildern (CT) zeigen, dass sie dem menschlichen Auge überlegen ist und auch Befunde sieht, die uns entgehen. Gleiches gilt in zunehmendem Masse auch für Echokardiographie und Magnetresonanz-Imaging. Insgesamt also bietet die künstliche Intelligenz enorme Möglichkeiten, um in der Medizin nicht nur schneller, vielmehr auch genauer vorgehen zu können und die Ärzte zu entlasten zugunsten der Zeit für ihre Patienten.

Lipide – das Risiko für die Koronare Herzkrankheit

In der Session «Lipidmanagement» wurde vor allem darüber gesprochen, was eigentlich normale Laborparameter sind und welche Lipide gemessen werden sollten. Selbstverständlich liegt heute der Fokus auf dem Low Density Lipoprotein Cholesterin (LDL-C), da wir vor allem in diesem Bereich über die nötigen Medikamente verfügen, um den Verlauf der Arteriosklerose und ihre Komplikationen wie Herzinfarkt, Hirnschlag und vorzeitiger Tod zu beeinflussen. Wie Gerald Klose aus Bremen bemerkte, sollte man darüber hinaus einmal im Leben
bei jedem Patienten das Lipoprotein(a) bestimmen, das genetisch determiniert und daher familiär gehäuft ist und einen wichtigen, bisher wenig beachteten Risikofaktor vor allem für frühzeitige kardiovaskuläre Ereignisse darstellt.
Ulrich Laufs wies dann noch einmal darauf hin, dass neben den Statinen, dem Ezetimib und der Bempedoinsäure nun auch PCSK9-Inhibitoren bei Hochrisikopatienten zunehmend Verwendung finden. Die Daten aus den beiden klassischen Studien, FOURIER und ODYSSEY, zeigen auch in den nachfolgenden Subanalysen immer überzeugender, dass ein klarer Benefit mit diesen neuen Wirkstoffen nachweisbar ist. Vor allem auch die Mendelian Randomization Studies mit Genvarianten des PCSK9-Gens haben eindrücklich gezeigt, dass Patienten mit genetisch sehr tiefen Cholesterinwerten völlig gesund und in beeindruckender Weise vor Herz- und Kreislauferkrankungen geschützt sind.

Gemäss Sebastian Buss aus Heidelberg erlauben die Möglichkeiten der heutigen Bildgebung, vor allem der CT-Angiographie, Patienten phänotypisch viel besser zu charakterisieren und ihr Risiko und damit auch die Behandlungsstrategien genauer zu definieren. In der Tat erlaubt beispielsweise das CT, auch Frühstadien der koronaren Herzerkrankung zu erfassen, was erstmals eine frühzeitige personalisierte Prävention ermöglicht, denn nicht alle haben bei gleichen LDL-C Werten die gleichen arteriosklerotischen Veränderungen.
Schliesslich gab Ulf Landmesser aus Berlin einen Ausblick in die Zukunft. Mit Nukleinsäure-basierten neuen Therapien entwickeln sich ungeahnte Möglichkeiten, nicht nur das LDL-C langfristig zu senken, sondern – je nach der Nukleinsäuresequenz – auch das Lipoprotein(a) und die Triglyzeride. Diese völlig neue Pharmakotherapie bedient sich des sogenannten «RNA Interference»-Prinzips, d.h. sie verwendet eine kurze doppelsträngige RNA, gekoppelt an sogenannte Tags, die sich spezifisch an ASO-Rezeptoren in der Leber binden und danach im Cytoplasma der Zelle durch Bindung an den sogenannten «RISC Komplex» die Translation genetischer Information in das PCSK9-Protein bis zu sechs Monate hemmt (Abb. 4, rechts oben). Eine weitere Therapiemöglichkeit besteht in der Verwendung von sogenannten «Antisense Oligonukleotiden», die vor allem bei der Behandlung erhöhter Lipoprotein(a)- und Triglyzeridwerten in Entwicklung sind (Abb. 4, rechts unten).
Abbildung 4:
Wirkungsweise von RNA Interference und Antisense Oligonucleotides (aus U. Landmesser et al. From traditional pharmacological towards nucleic acid-based therapies for cardiovascular diseases Eur Heart J. 2020;41:3884–3899).

Prävention jenseits der Lipide

In der letzten Session ging es vor allem um die Frage, wieviel Verwendung nicht die zukünftigen, sondern die bereits vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten finden in der kardiovaskulären Prävention in der Praxis. Petra Sandow aus Berlin, eine Allgemeinpraktikerin mit jahrelanger Erfahrung, zeigte eindrücklich, dass vor allem im Lipidmanagement und etwas weniger bei der Behandlung der Hypertonie und des Diabetes immer noch gewaltige Behandlungslücken bestehen. Viele Patienten wüssten nicht einmal von ihrer Hyperlipidämie und wenn sie es täten, erhielten sie in vielen Fällen keine optimale Behandlung. Damit werden viele vermeidbare kardiovaskuläre Ereignisse nicht verhindert.
Christoph Wanner aus Würzburg wies darauf hin, dass auch die Niere ein wichtiges Organ in der kardiovaskulären Prävention darstellt. Dies nicht nur, weil die Nierenfunktion eine der wichtigsten prognostischen Faktoren ist, sondern auch weil heute vor allem unter Verwendung der Sodium-Glucose-Transport(SGLT2)-Inhibitoren (neben den bereits verfügbaren Blockern des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems) neue Medikamente zur Verfügung stehen, die einen ausgeprägten Nierenschutz gewährleisten und den Abfall der Nierenfunktion bei kardiovaskulären Patienten verlangsamen. Wichtig war auch der Hinweis, dass SGLT2-Inhibitoren bis zu einer glomerulären Filtrationsfraktion von 30 ml/min./1,73 m2 verwendet werden können. Ebenso wies Christoph Wanner darauf hin, das der initiale Abfall der glomerulären Filtrationsfraktion kein Grund zur Beunruhigung darstellt, er sich innert kurzer Zeit erholt und danach der Abfall der Nierenfunktion deutlich verlangsamt wird.
Schliesslich stellte sich die Frage: Was ist der optimale Zielblutdruck? In einer anregenden Kontroverse stritten Felix Mahfoud aus Homburg/Saar und Roland Schmieder aus Erlangen über den optimalen Blutdruck. Sie zeigten, dass letztlich die Frage, ob 130 systolisch genügt oder unter 120 den richtigen Wert darstellt, vom Patientenprofil abhängt und dass eine personalisierte Blutdruckeinstellung heute aufgrund der verfügbaren Daten empfohlen wird.

Covid-19 und kardiovaskuläre Erkrankungen

Abschliessend widmeten sich die letzten Vorträge der Covid-19-Erkrankung und ihre Auswirkungen auf Patienten mit Herz- und Kreislauferkrankungen. Wie Andreas Zeiher aus Frankfurt zeigte, finden sich im Herzen solcher Patienten unter Verwendung des Magnetresonanz-Imagings eine Reihe von Veränderungen. Diese sind jedoch allermeistens wenig ausgeprägt und die myokardialen Schädigungen wirken sich in der Regel nicht auf die Pumpfunktion aus. Myokarditische Veränderungen im eigentlichen Sinne sind sogar noch seltener und entsprechend darf man heute davon ausgehen, dass ein Grossteil der Patienten nach Covid-19-Infektionen keine Veränderungen des Herzmuskels aufweisen. Treten Veränderungen auf, sind sie so gering, dass sie wohl nur selten klinische Konsequenzen mit sich bringen.
Clemens Wendtner aus München sprach danach über die Strategien zur Eindämmung von Covid-19 und zeigte eindrücklich, wie dank der modernen Molekularbiologie das Covid-19-Virus umgehend sequenziert und wirksame Impfungen entwickelt werden konnten (Abb. 5). Er wies aber auch darauf hin, dass wohl für eine Herd Immunity 70–80% der Bevölkerung geimpft werden und/oder eine Infektion durchgemacht haben müssten, was in den reicheren Ländern wohl erreichbar wäre. Jedoch in Ländern des afrikanischen Kontinents und auch in Indien und anderen asiatischen Ländern dürfte dies kaum umsetzbar sein. Damit muss man wohl davon ausgehen, dass Covid-19 uns noch für eine weitere, nur bedingt absehbare Zeit erhalten bleiben wird, vor allem wenn Tourismus und Berufsreisen in diese Weltgegenden wieder einsetzen werden. Allerdings darf erwartet werden, dass dank der Impfung, in den westeuropäischen Ländern und in Nordamerika wohl schwere Verläufe zu den Ausnahmen gehören werden, falls nicht neue, noch virulentere Varianten auftauchen.
Steroide und Interleukin-6-Antagonisten sind gewiss die einzigen wirklich evidenz-basierten Möglichkeiten zur Reduktion schwerer Krankheitsverläufe und der Mortalität, während Remdesivir leider nur einen fraglichen Effekt mit sich bringt. Neue Therapiemöglichkeiten eröffnen sich durch die Verabreichung spezifischer Antikörper gegen das Spike Protein bei Covid-19-Patienten mit einem hohen Risiko für einen schweren Verlauf.
Abbildung 5:
Clemens Wendtner aus München sprach über Covid-19 und die schnelle Entwicklung von sicheren und wirksamen Impfstoffen.
Die anschliessende Podiumsdiskussion gestaltete sich äusserst lebhaft, da Covid-19 immer noch im Zentrum des Interesses steht und wohl noch eine Weile bleiben wird (Abb. 6).
Zusammenfassend war der Prevention Summit 2021 wiederum ein grosser Erfolg, dank eines hervorragenden Programms, das von Ulf Landmesser, Ulrich Laufs und Thomas F. Lüscher gestaltet, durch Amgen Deutschland freundlicherweise ermöglicht und durch das Zurich Heart House  organisiert wurde.
Abbildung 6:
Podiumsdiskussion in Frankfurt im Hybridformat.
Prof. Dr. med. Thomas F. Lüscher
Zurich Heart House
Hottingerstrasse 14
CH-8032 Zürich
thomas.luescher[at]zhh.ch