Prevention Summit 2019 Berlin: Das Zurich Heart House reicht über die Grenze hinaus

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Issue
2019/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/cvm.2019.02063
Cardiovasc Med. 2019;22:w02063

Affiliations
Education Center, Zurich Heart House, Zurich, Switzerland

Published on 28.10.2019

Prävention als Aufgabe

Die Prävention ist auch in der Herz- und Kreislaufmedizin von allergrösser Bedeutung. Die Möglichkeiten der Vorbeugung von Herz- und Kreislauferkrankungen in der Primär- wie auch Sekundärprävention haben sich in den letzten Dekaden enorm erweitert: So können wir wirksam den Blutdruck senken [1], sowohl durch Medikamente wie nun auch durch die renale Denervation [2], dann können wir das LDL-Cholesterin mit Statinen, Ezetimibe sowie seit kurzem auch mit PCSK9-Inhibitoren in bisher ungeahntem Masse reduzieren [3], und schliesslich konnte mit SGLT-2-Inhibitoren und Glucagon-like-peptide(GLP1)-Agonisten erstmals gezeigt werden, dass sich auch bei Diabetikern die Sterblichkeitsrate mit Antidiabetika deutlich senken lässt [4].
In der Prävention unterscheidet man die primordiale Prävention, d.h. Massnahmen, die schon das Auftreten von Risikofaktoren wie hohem Blutdruck, Übergewicht und Diabetes verhindern, sowie die Primärprävention, d.h. die Senkung von Blutdruck, Lipiden, Blutzucker und anderem mehr bei Patienten mit Risikofaktoren. Schliesslich zielt die Sekundärprävention bei Patienten, die bereits ein kardiovaskuläres Ereignis wie Herzinfarkt, Hirnschlag oder einen plötzlichen Herztod überlebt haben, auf die Reduktion weiterer kardiovaskulärer Ereignisse (Tabelle 1), denn mindestens jeder 10. Patient erleidet nach Herzinfarkt ein weiteres kardiovaskuläres Ereignis.
Tabelle 1
Arten der Prävention.
Arten der PräventionMassnahmen
Primordiale PräventionVerhindern des Auftretens von kardiovaskulären Risikofaktoren (Hypertonie, Lipidstoffwechselstörungen, Übergewicht, Diabetes u.a.m.)
PrimärpräventionManagement von kardiovaskulären Risikofaktoren mit Life-style-Massnahmen, Medikamenten oder Interventionen
SekundärpräventionManagement von kardiovaskulären Risikofaktoren beim bereits Erkrankten mit koronarer oder peripherer Gefässkrankheit, Schlaganfall, Herzinsuffizienz oder überlebtem Herztod
Mit der Entwicklung neuer bildgebender Verfahren hat sich die Grenze zwischen Primär- und Sekundärprävention allerdings etwas aufgelöst, da auch bei völlig asymptomatischen Individuen nun bereits Gefässveränderungen und sogar alte Infarkte sichtbar geworden sind.

Erziehung zur Prävention

Aufgrund dieser enormen Möglichkeiten der Vorsorge bei Herzpatienten werden Fortbildungen in diesem Bereich zunehmend wichtiger. Das Zurich Heart House – Foundation for Cardiovascular Research hat über Jahre in Zürich einen Prevention Summit durchgeführt und damit wesentlich zur Fortbildung von Ärzten in Praxis und Klinik beigetragen. Da dieser nun aus verschiedenen Gründen vor Ort nicht mehr möglich ist, hat sich das Zurich Heart House entschlossen, zusammen mit Prof. Ulf Landmesser von der Charité in Berlin, ehemaligem Stellvertreter des Stiftungsratspräsidenten (Prof. Thomas F. Lüscher) in der Zeit als Direktor der Klinik für Kardiologie am UniversitätsSpital Zürich, sowie Prof. Ulrich Laufs, Associate Editor des European Heart Journal für Prävention und Vorsteher der Universitätsklinik in Leipzig, einen Prevention Summit in Berlin durchzuführen (Abb. 1). Der Prevention Summit wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Zurich Heart House und der Firma Amgen durchgeführt. Er war mit rund 200 interessierten Teilnehmenden aus ganz Deutschland sehr gut besucht (Abb. 2).
Abbildung 1
Die Vorsitzenden des Prevention Summit Berlin 2019: Ulf Landmesser, Thomas F. Lüscher, Ulrich Laufs.
Abbildung 2
Rund 200 Teilnehmer besuchten den Prevention Summit in der Berlin-Bran-denburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Der Kongress wurde eröffnet durch Prof. John Deanfield aus London, der mit seinem Vortrag «How good are we in preventive cardiology?» daran erinnerte, dass in verschiedenen Bereichen und zahlreichen Patientenpopulationen die durch die Guidelines vorgegebenen Ziele nicht erreicht werden. So ist zum Beispiel der Blutdruck bei vielen Patienten ungenügend eingestellt, das LDL-Cholesterin nicht im Zielbereich und der Diabetes ungenügend behandelt. Er wies vor allem darauf hin, dass das sogenannte Lifetime-Risiko von grosser Bedeutung ist, da viele Risiko-Scores nur eine Zeitspanne in den nächsten 5­‒10 Jahren in Betracht ziehen, während Prävention vor allem bei jüngeren Patienten das Ziel haben sollte, die nächsten 30 Jahre günstig zu beeinflussen und kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern (Abb. 3) [5]. Dies wurde auch von Prof. Ulrich Laufs für Deutschland bestätigt und ist in der Schweiz wohl nicht wesentlich anders, obgleich dazu verlässliche Zahlen fehlen.
Abbildung 3
Prof. John Deanfield erläutert die Bedeutung des Lifetime-Risikos.
In der zweiten Session über Atherosklerose wurde vor allem darauf hingewiesen, dass der Mensch das wohl einzige Lebewesen in der Evolution ist, das extrem hohe Cholesterinwerte aufweist; entsprechend ist auch die Atherosklerose eine typische Erkrankung des Menschen, die sonst in der Tierwelt in dieser Form nicht vorkommt (Abb. 4). Wir sind alle im Vergleich zur Tierwelt hyperlipidäm, und diese Erkenntnis zusammen mit den Ergebnissen der «Mendelian Randomisation Studies to PCSK9 genetic variants» und den Resultaten der FOURIER- und ODYSSEY-Studien haben erwiesen, dass eine aggressive Senkung des LDL-Cholesterins bis auf Werte von 0,5 mmol/L oder darunter langfristig das Auftreten von Herz- und Kreislauferkrankungen deutlich und bereits innerhalb weniger Jahre reduziert [6, 7].
Abbildung 4
Thomas Lüscher (links) hält fest, dass die Menschen alle hyperlipidäm sind, wie die Daten aus dem Tierreich zeigen (rechts).

Entzündung und Arteriosklerose

Prof. Wolfgang Koenig aus München sprach über das Thema «Inflammation als neues Therapieziel» und wies darauf hin, dass bereits von Rudolf Virchow im 19. Jahrhundert vorausgesagt wurde, dass die Atherosklerose eine chronische Entzündung der Gefässwand ist. Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass dies nicht allein durch modifiziertes LDL, wie oxidiertes LDL, geschieht, sondern dass auch andere Mechanismen, unabhängig vom Cholesterin und anderen Lipiden, diese chronische Entzündung aufrechterhalten. Dabei spielt vor allem das Inflammasom NLRP3, das die Verbindung zu den Interleukinen darstellt und schliesslich zu einer Erhöhung des C-reaktiven Proteins führt, eine Rolle (Abb. 5) [8]. Der «CANTOS Trial» hat gezeigt, dass mit dem Antikörper gegen Interleukin-1-beta, dem monoklonalen humanen Antikörper Canakinumab, sich kardiovaskuläre Ereignisse kurzfristig in ähnlichem Ausmass senken lassen wie mit den neuen PCSK9-Inhibitoren bei Hypercholesterinämie und gemischter Dyslipidämie. Dies ist besonders der Fall bei Patienten mit erhöhtem C-reaktivem Protein (CRP), bei denen das Canakinumab zu einer deutlichen Senkung der Interleukin-6 Plasmaspiegel führt – entsprechend ist wohl heute die Messung des CRP in der Prävention ein Muss [9]. Leider hat Novartis sich entschieden, dieses Medikament nicht in der kardiovaskulären Medizin zu entwickeln, sondern bei Patienten mit Lungenkarzinom, die im «CANTOS Trial» ebenfalls von Canakinumab profitiert haben.
Abbildung 5
Molekulare Mechanismen der vaskulären Inflammation (Paul Ridker and Thomas F. Lüscher, Eur Heart J. 2014;35:1782-91, Nachdruck mit Genehmigung).
Von Interesse sind jüngste Studien mit Colchicin, einem Hemmer des Urat-Stoffwechsels, der aufgrund von Pilotstudien ebenfalls eine günstige Wirkung bei Koronarpatienten entfalten könnte [10]. In der Tat aktiviert Urat oder Harnsäure das NLRP3-Inflammasom, und entsprechend könnte das Colchicin, wie es im Moment in einer grossen randomisierten Studie getestet wird, auch in der kardiovaskulären Medizin in Zukunft eine Rolle spielen. Die einzelnen Vorträge wurden jeweils in Podiumsdiskussion mit den beteiligten Rednern unter Beteiligung des Publikums intensiv diskutiert (Abb. 6).
Abbildung 6
Angeregte Podiumsdiskussion mit Martin Halle, München, Friedrich Köhler, Berlin, John Deanfield, London, Ulf Landmesser, Berlin, Ulrich Laufs, Leipzig und Thomas F. Lüscher, London (von links).

Prävention beim Diabetiker

Das moderne Management von Diabetikern wurde durch PD Dr. Thomas Bobbert aus Berlin und Dirk Müller-Wieland aus Aachen besprochen. Sie zeigten auf, dass nun erstmals Patienten mit Diabetes neben dem Metformin mit den neuen SGLT-2 Inhibitoren [11], welche die Glukose mit dem Urin entsorgen und möglicherweise weitere Wirkungen im Körper entfalten, und den GLP-1-Agonisten Medikamente zur Verfügung stehen, welche die Mortalität senken. Beide Wirkstoffklassen sind insofern komplementär, als die SGLT-2-Inhibitoren auch das Auftreten einer Herzinsuffizienz beeindruckend senken, während die GLP1-Agonisten zu einer Gewichtsreduktion führen [12]. Damit steht neben den Statinen, die ebenfalls unbedingt bei Diabetikern zum Einsatz kommen sollten, eine neue Therapiestrategie zur Verfügung, die erstmals den kardiovaskulären Langzeitverlauf des Diabetikers wirksam verbessern könnte.

Die Entdeckung des Troponins

Der Prevention Summit 2019 in Berlin wurde mit einem Festvortrag von Prof. Hugo Katus aus Heidelberg über den Troponin-Test, den heutzutage jeder Kardiologe weltweit verwendet, abgeschlossen. Hugo Katus schilderte, wie er sich als Forschungsassistent bei Prof. Edgar Haber am Massachusetts General Hospital mit Proteinen des kontraktilen Apparates des Herzmuskels zu beschäftigen begann und sich in Deutschland vor allem des Troponins annahm; später entwickelte er mit Boehringer Ingelheim einen patentierten Essay, der schliesslich in zahllosen grossen Studien eingesetzt wurde und heute weltweit klinische Routine ist. Das Troponin spielt heute in der Diagnostik des Herzinfarkts eine zentrale Rolle und fand Eingang in sämtliche Guidelines wissenschaftlicher Gesellschaften weltweit und insbesondere der European Society of Cardiology.

Vorbeugen ist besser als Heilen

Die Prävention bleibt wichtig: «Vorbeugen ist besser als heilenz. Dies gilt heute mehr denn je dank neuer Möglichkeiten in der wirksamen Vorbeugung von Herz- und Kreislauferkrankungen bei Gesunden und Kranken.
Ruth Amstein
Prof. Thomas F. Lüscher, Senior Consultant, Cardiovascular Medicine, Zurich Heart House, Hottingerstrasse 14, CH-8032 Zürich,
1 Williams B, Mancia G, Spiering W, Agabiti Rosei E, Azizi M, Burnier M, et al.; ESC Scientific Document Group. 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J. 2018;39(33):3021–104. doi:. http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehy339 PubMed
2 Mahfoud F, Schlaich M, Böhm M, Esler M, Lüscher TF. Catheter-based renal denervation: the next chapter begins. Eur Heart J. 2018;39(47):4144–9. doi:. http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehy584 PubMed
3 Ference BA, Cannon CP, Landmesser U, Lüscher TF, Catapano AL, Ray KK. Reduction of low density lipoprotein-cholesterol and cardiovascular events with proprotein convertase subtilisin-kexin type 9 (PCSK9) inhibitors and statins: an analysis of FOURIER, SPIRE, and the Cholesterol Treatment Trialists Collaboration. Eur Heart J. 2018;39(27):2540–5. doi:. http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehx450 PubMed
4 Ahmed HM, Khraishah H, Cho L. Cardioprotective anti-hyperglycaemic medications: a review of clinical trials. Eur Heart J. 2018;39(25):2368–75. doi:. http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehx668 PubMed
5 Ayer J, Charakida M, Deanfield JE, Celermajer DS. Lifetime risk: childhood obesity and cardiovascular risk. Eur Heart J. 2015;36(22):1371–6. doi:. http://dx.doi.org/10.1093/eurheartj/ehv089 PubMed
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7 Schwartz GG, Steg PG, Szarek M, Bhatt DL, Bittner VA, Diaz R, et al.; ODYSSEY OUTCOMES Committees and Investigators. Alirocumab and Cardiovascular Outcomes after Acute Coronary Syndrome. N Engl J Med. 2018;379(22):2097–107. doi:. http://dx.doi.org/10.1056/NEJMoa1801174 PubMed
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