Verschwinden Ischämie-verdächtiger EKG-Veränderungen nach Einlage eines biliären Stents

Verschwinden Ischämie-verdächtiger EKG-Veränderungen nach Einlage eines biliären Stents

Case Report
Issue
2019/01
DOI:
https://doi.org/10.4414/cvm.2019.02007
Cardiovasc Med. 2019;22:w02007

Affiliations
Ospedale della Beata Vergine, Mendrisio, Schweiz

Published on 26.02.2019

T-Negativierungen in den inferioren Ableitungen normalisierten sich nach biliärer Dekompression.

Einleitung

Ischämietypische EKG-Veränderungen sind nicht immer auf eine kardiale Ursache zurückzuführen. Verschiedene akute abdominale, intrathorakale und intrakranielle Erkrankungen kommen als Ursachen in Frage.
Im Folgenden berichten wir über einen Patienten mit Ischämie-verdächtigen elektrokardiographischen Veränderungen, die im Kontext einer subakuten biliären Problematik auftraten.

Fallbeschreibung

Der 63-jährige Mann war zuvor an einem chromophoben Nierenzellkarzinom erkrankt, das im September 2012 mit einer Nephrektomie und para- und retrokavalen Lymphadenektomie behandelt wurde. Im Verlauf traten Lymphknotenmetastasen auf, die zu einer extrinsischen biliären Kompression führten. Aufgrund eines zunehmenden Ikterus (Bilirubin 151 µmol/l, Gamma-GT 571 U/l) mit einer im Computertomogramm und im Cholangio-MRI bestätigten progressiven Cholestase stellte er sich elektiv für eine ERCP in unserem Spital vor.
Bei diesem aus kardiologischer Sicht völlig asymptomatischen Patienten ohne Risikofaktoren wurde bei den Routine-Abklärungen auch ein EKG durchgeführt; es zeigte Ischämie-verdächtige T-Negativierungen in den inferioren Ableitungen (Abb. 1). Klinisch waren kein Herzgeräusch und kein Perikardreiben vorhanden. Ein möglicher Artefakt (z.B. aufgrund falscher Lage der EKG-Elektroden oder Inversion der Ableitungen) wurde ausgeschlossen. Vorbestehende Anomalien waren in einem früheren EKG nicht vorhanden (Abb. 2).
Abbildung 1
Ruhe-EKG vor ERCP: tief-negative T-Wellen in den Ableitungen III und aVF.
Abbildung 2
Unauffälliges Ruhe-EKG (2 Jahre vorher).
Aufgrund dieses Befundes und bei Verdacht auf eine stumme Ischämie bzw. auf einen subakuten inferioren Myokardinfarkt wurden eine transthorakale Echokardiographie sowie serielle Bestimmungen der kardialen Biomarker (CK, Troponin T) veranlasst, die allesamt negativ ausfielen. Die Serum-Amylase und -Lipase sowie die Entzündungsparameter (Leukozyten 8,4 G/l, CRP 4 mg/l) waren im Normbereich. Es konnte somit keine kardiale Erklärung für die EKG-Veränderungen ermittelt werden, insbesondere fanden sich keine Hinweise für eine Myokardischämie.
Schliesslich wurde die Implantation eines biliären Stents durchgeführt, was zu einer kompletten Regression des Ikterus sowie auch zu einer deutlichen Besserung der Cholestasewerte im Blut (Bilirubin 28 µmol/l, Gamma-GT 84 U/l) führte. Mit der Behebung der biliären Kompression wurde gleichzeitig die rasche Normalisierung des EKG beobachtet (Abb. 3).
Abbildung 3
Ruhe-EKG nach ERCP mit Stenteinlage. Normalisierung der Repolarisationsstörungen.

Diskussion

Es ist bereits seit Jahren bekannt, dass extrakardiale Ursachen elektrokardiographische Veränderungen verursachen können [14]. Beschrieben wurden akute abdominale Pathologien (Pankreatitis, Cholezystitis, Hepatitiden, Peritonitis, Duodenalulzera) sowie intrathorakale (Aortendissektion, Pneumothorax, Hämatothorax) und intrakranielle Erkrankungen (subarachnoidale Blutungen, Hirnödem).
Die Pathophysiologie ist noch umstritten, obwohl die Korrelation zwischen den oben geschilderten Erkrankungen und EKG-Veränderungen seit Jahrzehnten bekannt ist. In der Literatur wurde u.a. ein kardio-biliärer Reflex postuliert, der durch lokale Reizungen der hypochondrischen Organe eine autonome vagal vermittelte Reaktion auslösen könnte und für unspezifische Repolarisationsstörungen im EKG verantwortlich wäre [5]. Die am häufigsten beschriebenen Folgen dieses Reflexes sind T-Negativierungen oder ST-Senkungen. Seltener werden auch ST-Hebungen, ein transitorischer linksanteriorer Hemiblock und ein Linksschenkelblock erwähnt. Am häufigsten scheinen die inferioren EKG-Ableitungen betroffen zu sein.
Bislang wurde der Einfluss auf die kardiale Repolarisation vor allem als Folge von metabolischen Anomalien (Hypokalzämie, Hypomagnesämie, Hypoglykämien) erklärt.
Entzündungsbedingt freigesetzte Enzyme (z.B. bei Pankreatitis) könnten auch eine direkte schädliche Wirkung auf das Myo- und Perikard mit Permeabilitätsstörungen der Zellmembran haben.
Andere Autoren haben Koronarspasmen und vermehrte Thrombozytenaggregation, die durch die Freisetzung von pankreatischen proteolytischen Enzymen ausgelöst werden, als Ursache solcher EKG-Veränderungen postuliert.
In der Literatur werden in diesem Zusammenhang stets Patienten mit akuten extrakardialen Erkrankungen beschrieben. Unser Fall veranschaulicht hingegen, dass auch subakute intraabdominelle Prozesse (u.a. eine extrinsische Kompression der Gallenwege) zu EKG-Veränderungen führen können.
Zusammenfassend wurden bei unserem Patienten Ischämie-verdächtige EKG-Veränderungen einmal nicht mit einem Koronarstent, sondern mit einem biliären Stent behandelt!
No financial support and no other potential conflict of interest relevant to this article was reported.
Dr. med. Brenno Balestra, Medizinische Abteilung, Ospedale della Beata Vergine, CH-6850 Mendrisio, brenno.balestra[at]eoc.ch
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